Interessanter Tagesspiegel-Artikel

In einem längeren Tagesspiegel-Artikel kommen drei Anwohnerinnen vom Görlitzer Park zu Wort. Weil sich der Artikel hinter einer Bezahlschranke befindet, dokumentieren wir ihn hier in voller Länge.

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„Die Dealer grüßen meine Tochter“: Das fordern Anwohnende des Görlitzer Parks statt des Zauns

Der Görlitzer Park in Kreuzberg soll umzäunt und nachts geschlossen werden. Was bedeutet das für die Anwohnenden? Drei Frauen berichten von Kot, Spritzen und Crack-Süchtigen auf dem Schulweg der Kinder. Sie haben Lösungsvorschläge.

Von Robert Klages

Drei Männer drängen sich um einen Baum auf dem Gehweg der Sorauer Straße in Berlin-Kreuzberg. Sie haben dort, in der Nähe des Görlitzer Parks, übernachtet und bereiten an diesem Freitagmittag ihren nächsten Schuss vor, auf dem Boden liegen Spritzen, Müll und Fäkalien. Familien gehen vorbei und eine Kita-Gruppe, ein paar Meter weiter trinken Tourist:innen einen Kaffee.

Das ist bereits seit Jahren Realität in den Kiezen um den Görlitzer Park. Im Juni soll mit dem Bau der Umzäunung begonnen und der Park nachts abgeschlossen werden. Anwohnende sind in Sorge, dass sich die Situation um ihre Haustüren verschlechtert und noch mehr Drogensüchtige und obdachlose Personen dort herumliegen.

Viele sehen den Zaun kritisch. Der Tagesspiegel spricht mit drei Frauen, die unterschiedliche Positionen haben, über den Umgang mit Drogendealern und Süchtigen, wie man Kinder auf die Begegnung mit diesen vorbereitet, die Angst vor Vergewaltigungen im Park, und welche Lösungsvorschläge sie haben.

„Es ist immer noch der beste Ort, an dem ich jemals gelebt habe“, sagt Clara Vuillemin und schaut die Sorauer Straße entlang. Die 33-Jährige ist vor ein paar Jahren aus Zürich nach Berlin gezogen. Natürlich, der Kiez sei manchmal eklig, aber weiterhin lebenswert. Es gebe Tage, da müsse sie über die Drogensüchtigen steigen, die in den Eingangstüren liegen. Müll, Spritzbesteck und Kot gehören zum Alltag.

Trotzdem spricht sich Vuillemin für Toleranz aus, es sei ein Kiez, der einiges verkraften könne, der in der Lage sei, mit diesen Problemen umzugehen. „Ich toleriere ein breites Spektrum an Lebensentwürfen. Und dafür nehme ich in Kauf, dass mal jemand auf die Straße kackt.“
Da zuckt Annett Nägele zusammen, die neben ihr steht und auch ihre Nachbarin ist in „der Sorauer“. Die 58-Jährige erzählt von einem Drogensüchtigen, der mit E-Scootern geworfen hat. Das ist schon länger her. Und vor 20 Jahren wurde ihrem 10-jährigen Sohn Drogen angeboten am Eingang zum Park, ein erschreckender Schlüsselmoment für die Mutter. Menschliche Fäkalien in der Straße möchte sie nicht akzeptieren, es müsse sich etwas ändern, auch wenn man die Zustände ja quasi schon gewohnt sei.

Astrid Hanser hat eine neunjährige Tochter. Die 49-Jährige möchte daher nicht mit echtem Namen in der Zeitung genannt und nicht fotografiert werden. Seit mehr als zehn Jahren lebt sie am Görli. Die Crack-Konsumierenden seien angsteinflößend, es werde immer schlimmer. Daher gehe ihre Tochter nicht allein zur Schule.
Die Begegnung mit Drogensüchtigen gehöre zum Alltag der Kinder. „Ich versuche, das zu erklären, ohne zu stigmatisieren“, sagt Hanser. „Meine Tochter weiß, dass die Menschen oftmals keine andere Option haben, als Drogen zu verkaufen.“

Gefährlich seien die Konsumierenden, so Hanser weiter. Besonders Crack mache psychotisch, die Menschen würden wirklich schlimm aussehen und seien gefährlich. Die Verkäufer im Görlitzer Park hingegen würden weniger Gefahr darstellen.
Während andere Eltern ihre Kinder nicht im „Görli“ spielen lassen, sei ihre Tochter dort quasi aufgewachsen, erzählt Hanser. „Das ist unser Naherholungsgebiet. Wir haben weder Balkon noch Garten.“

Görli-Anwohnerin Anstrid Hauser möchte keine nächtliche Schließung des Parks.
Die Dealer würden die Tochter freundlich grüßen und keine Drogen anbieten, man kenne sich. Als einer der Männer mal mehrere Tage nicht an seinem angestammten Platz gestanden hat, habe die Tochter gefragt: „Mama, wo ist der hin?“

Hanser denkt darüber nach, mal hinzugehen zu den Männern, die jeden Tag an den Parkeingängen herumstehen und mit Drogen dealen. Sie der Tochter vorzustellen. Aber Hanser zögert noch.

Die drei Frauen sind sich einig, dass etwas geändert werden muss, dass es so nicht weitergehen kann. Aber der Zaun sei keine Lösung, denn die Drogensüchtigen und Dealer würden so nur noch mehr in ihre Kieze getrieben und vor die Hauseingänge. Und vor allem würde diesen Menschen so nicht geholfen. „Der Zaun ist reine Verdrängungspolitik und Populismus“, sagen sie. „Wir kennen auch niemanden, der den Zaun begrüßt oder gut findet.“

Hanser erlebt immer wieder, dass drogensüchtige Frauen keine Hilfe erhalten. Während im Görlitzer Park ein Drogenmobil steht mit Sozialarbeiter:innen, gibt es in den umliegenden Kiezen keine Orte, an denen Drogensüchtige sauberes Spritzbesteck sowie Hilfe bekommen können.

Daher schlagen die drei Anwohnenden sogenannte Drogenkonsumräume vor, mit Sozialarbeiter:innen vor Ort. „Das könnte auch bei uns in der Straße sein. Die Drogensüchtigen sind ja ohnehin dort, aber dann könnten sich Experten um sie kümmern.“ Es gehe um die kontrollierte Abgabe von Drogen an geschützten Orten.

„Aber unsere Vorschläge werden von der Politik nicht gehört“, sagt Nägele. „Wir werden nicht beachtet, das ärgert mich wahnsinnig.“ Es gebe auch keine Informationen über den Zaunbau, nichts. Sie erfahre das alles nur aus der Presse. Und die mehr als 1,7 Millionen Euro, die der Zaun kosten soll, sieht sie in sozialen Projekten besser angelegt.

Zudem fordern die drei Frauen eine Nummer, bei der sich Anwohnende im Notfall melden könnten. Vielleicht eine Anlaufstelle mit Sozialarbeiter:innen, die rund um die Uhr zu erreichen sei und telefonisch berate, sowie im Notfall jemanden schicken könne.

Und die Polizei? „Da ist mein Misstrauen schon sehr groß“, sagt Vuillemin. Oft habe sie beobachtet, wie die Beamt:innen nicht adäquat mit den Personen umgehen könnten, diese drangsalierten oder wegrissen. Die beiden anderen nicken, die Polizei sei keine Lösung. Im Winter könne man den Kältebus rufen, doch die obdachlosen Personen würden da nicht einsteigen wollen.

Letztens hat Nägele das Lager eines obdachlosen Mannes im Keller entdeckt, ein Stofftier lag dabei. „Und ich soll den dann rauswerfen?“, fragt sie. „Das ist brutal.“ Sie wünscht sich Hilfe im Umgang mit diesen Situationen, eine Beratung, eine Anlaufstelle oder eine Ansprechperson vor Ort.
Die Drei sehen die Lösung in der freien Abgabe von Drogen an gesicherten Orten. Dadurch könne auch ihr „Görli“ wieder zu dem werden, was er für sie als Anwohnende eigentlich sein sollte: Ein Naherholungsgebiet.

Vuillemin erzählt, sie sitze oft nachts im Park und lese, treffe sich dort mit Freunden und feiere ihren Geburtstag. „Der Park ist unser Garten“, sagt sie. „Und wir teilen ihn gerne. Aber das soll uns durch den Zaun genommen werden.“

Drogen kaufen wolle sie nicht, aber es störe sie nicht unbedingt, wenn ihr diese angeboten würden. „Wenn die mich ansprechen, ist das eher lustig-nervig.“ Sie pflege einige „Grußfreundschaften“ zu Dealern, man kenne sich ja schließlich vom Sehen.

Für die Crack-Konsumierenden mit Psychosen wünscht sie sich Hilfe, einen offenen Ort für den Konsum. Und für zum Beispiel Marihuana die legale Abgabe im Park.

Vuillemin geht auch nachts durch den Görli. Sollte es zur Schließung nach 22 Uhr kommen, würde sie weitere Wege machen müssen. „Ich habe mich im Görli nie unsicher gefühlt, eben, weil Leute dort sind, weil es belebt ist. Es ist für mich kein Angstraum, sondern ein Ort der Gemeinschaft. Ich habe dort nie Angst, vergewaltigt zu werden.“ Mit dem Risiko, überfallen zu werden, müsse man überall leben.

„Und ich bin mir sicher: Wenn ich Schwarz wäre, würde ich im Park kontrolliert werden.“ Nicht alle Schwarzen Personen seien Drogendealer, sie könnten aber nicht einfach so ein Buch dort lesen, wie sie als Weiße das könne. Es gibt Schwarze Personen, die in den anliegenden Kiezen wohnen, aber den Görlitzer Park nicht nutzen, da sie oft von der Polizei angesprochen oder des Parks verwiesen werden.

Nägele stimmt zu: „Ich als Weiße Person kann überall sitzen, ohne von der Polizei angesprochen zu werden.“ Das Racial Profiling im Park sei schon auffällig. Sie fahre trotzdem nachts nicht hindurch, sondern außen herum. Einmal, vor Jahren, wurde ihr bei einem Spaziergang die Handtasche gestohlen. Die Dealer hätten ihr anschließend geholfen. Schön finde sie das nicht, aber sie fühle sich in deren Anwesenheit sicherer, als wenn dort niemand stünde.

Hauser geht nach 22 Uhr durch den Park, aber nur kurze, notwendige Wege. Die „soziale Kontrolle“ funktioniere. Solange viele Leute im Park seien, fühle sie sich sicher. „Wenn der Zaun kommt, ist das nicht mehr der Fall, dann wird der Park leer sein.“ Der Zaun werde die Lebensqualität verschlechtern.

Die drei Frauen seufzen. Eine Schwarze Frau tritt an die Gruppe heran, bettelt um Geld und erhält freundlich etwas Kleingeld, sie lächelt zurück.

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